(nach Tagliavini 1972:325-332)
Die romanischen Sprachen haben sich aus dem Vulgärlatein kontinuierlich entwickelt. Doch während dies geschah, hat auch das Lateinische weitergelebt, wenn auch ohne wesentliche eigene Entwicklung, da es darum ging, das klassische Latein zu konservieren. Es wurde vor allem von den Kulturträgern, i.w. dem Klerus und anderen Akademikern, tradiert. Es war von Anfang an bis auf den heutigen Tag Quelle von Entlehnungen. Wiewohl diese von Gebildeten gemacht wurden, gingen doch viele von ihnen in die Volkssprache ein.
Die Entlehnungen aus dem Lateinischen betreffen alle Ebenen des Sprachsystems: Lexikon, Grammatik (insbesondere Syntax und Derivation), Phonologie. Dies führt im Lexikon aller romanischer Sprachen zu Dubletten von "allotropen" Wörtern, die dieselbe lateinische Wurzel haben, aber auf verschiedenen Wegen in die roman. Sprache gelangt sind:
Ein untrügliches Merkmal, an dem man lateinische Entlehnungen in romanischen Sprachen erkennen kann, gibt es nicht. Die bestehenden Anhaltspunkte ergeben sich daraus, daß die romanischen Sprachen aus dem Vulgärlatein bzw. dem Gemeinromanischen hervorgegangen sind, während die späteren Entlehnungen nicht hieraus, sondern aus dem klassischen Latein stammen. Hiernach gibt es phonologische, morphologische, stilistische und semantische Kriterien, an denen man Latinismen erkennen kann.