Relationen

Der Begriff der Relation wird im folgenden ausgiebig charakterisiert, nicht jedoch definiert werden. Er wird also als elementar, als intuitiv erfaßbar vorausgesetzt. Relation ist einfach Lateinisch für Beziehung und für alle theoretischen Zwecke dasselbe. Es folgen einige Beispiele für Relationen:

x ist älter als y
x ist des y teilhaftig
x ist Angestellter von y
x ist die Mutter von y
x überragt y
x ähnelt y

Eine Relation besteht zwischen zwei oder mehr Entitäten, die ihre Relata heißen. In den Beispielen sind diese durch Variablenbuchstaben repräsentiert, die in einigen Fällen noch mit grammatischen Beiwerk (wie von und des) versehen wurden, welches für den Begriff der Relation nicht wesentlich ist und nur das Lesen der Ausdrücke erleichtern soll.

Da man nicht davon ausgehen kann, daß Relationen symmetrisch sind, hat man die Rollen oder Plätze der beiden Relata auseinanderzuhalten. Bei einer zweistelligen Relation der Form ‘xRy’ nennt man x den Vorgänger, y den Nachfolger von R. Man sagt auch, x befindet sich im Vorbereich, y im Nachbereich von R.

In den Beispielen werden Variablen verwendet und nicht referentielle Ausdrücke wie Erna oder der Eiffelturm, weil es auf die Relationen ohne ihre Relata ankommt. Die Variablen sind lediglich Platzhalter, die das Vorhandensein einer Leerstelle anzeigen. Sie referieren als solche natürlich nicht und sind, in den Beispielen, auch nicht gebunden. Die Beispiele sind daher keine Sätze (es sind “offene Sätze”), sondern lediglich Relationen.

Die obigen Beispiele sind alle zweistellige Relationen. Dreistellige Relationen sind in einigen natürlichen Sprachen gang und gäbe:

x schuldet dem y das z
x bezichtigt den y des z
x gönnt dem y das z

Mehr als dreistellige Relationen sind in natürlichen Sprachen äußerst selten, kommen aber in formalen Sprachen durchaus vor.

Von einstelligen Relationen spricht man nicht; das sind Eigenschaften, wie die folgenden:

x ist alt
x ist Mutter
x ist Angestellter

Wie man sieht, unterscheiden sich diese Beispiele von einigen obigen zweistelligen Relationen nur dadurch, daß eine bestimmte Stelle nicht vorhanden ist. Wir verschieben das Problem, welches genau die Beziehung zwischen einer Relation wie x ist Mutter von y und einer Eigenschaft wie x ist Mutter ist (s.u.), und stellen im Moment nur fest, daß dies jedenfalls verschiedene Ausdrücke mit verschiedener Bedeutung sind. Damit ergibt sich gleichzeitig die Begründung dafür, daß Relationen stets zusammen mit Platzhaltern für ihre Relata, eben den Variablen, angegeben werden, denn sonst wären ja die Begriffe x ist Mutter von y und x ist Mutter nicht unterscheidbar.

Begriffe fallen in Klassen, die auf der Skala der Zeitstabilität angeordnet sind. Im alltäglichen Verständnis haben Beziehungen mit Eigenschaften eine relativ hohe Zeitstabilität gemeinsam. So liegen in den folgenden Ausdrücken zwar ein-, zwei- und dreistellige Prädikate vor.

x platzt
x erblickt y
x gibt dem y das z

Bei solchen punktuellen Situationen würde man alltagssprachlich jedoch nicht von Eigenschaften und Relationen sprechen, weil man annimmt, daß diese ein Zeitlang bestehen. Wir behandeln dieses Problem hier als ein rein terminologisches, ignorieren es also und kommen später auf die Zeitstabilität zurück.

Eigenschaften und Relationen nehmen in der Sprache die Gestalt von Prädikaten (einige Logiker sagen “Prädikator”) an. Die Relata heißen dann Argumente des Prädikats.

Relationale Begriffe

Daß verbale Prädikate wie x erblickt y oder x bezichtigt y des z mehrere Entitäten zueinander in Beziehung setzen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Es gibt jedoch auch nominale Prädikate, die das leisten. In diesem Punkte unterscheidet sich ein Begriff wie ‘Apfel’ von einem Begriff wie ‘Nichte’. Eine Nichte ist notwendigerweise die Nichte von jemandem; die Idee einer Nichte, die niemandes Nichte ist, ist widersprüchlich. Das gilt für einen Apfel nicht; ein Apfel ist schlechtweg ein Apfel in absoluto und nicht notwendigerweise jemandes Apfel (oder der Apfel eines Baums). Dem Begriff der Nichte inhäriert der Bezugspunkt (d.h. der Onkel oder die Tante); dem Begriff des Apfels inhäriert keine solche Relation. Einen Ausdruck, dem eine Relation zu einem anderen inhäriert, nennen wir relational. Das Gegenstück davon ist absolut; aber dieser Ausdruck hat viele Verwendungen und wird deshalb im gegebenen Zusammenhang meist durch nicht-relational ersetzt.

Ein relationaler Begriff hat eine Leerstelle für ein Argument.1 Wird der relationale Begriff syntagmatisch mit einem referentiellen Ausdruck kombiniert, zu dessen Referent eben die inhärente Relation besteht, so ist die Leerstelle besetzt oder gesättigt. So hat etwa Nichte eine ungesättigte Leerstelle, Ernas Nichte jedoch nicht. Durch die Besetzung der Leerstelle ändert sich die Stelligkeit des Ausdrucks und somit, syntaktisch betrachtet, sein kombinatorisches Potential und somit seine syntaktische Kategorie: ist Nichte von ist eine zweistellige Relation und kombiniert sich daher mit zwei referentiellen Ausdrücken. ist Ernas Nichte ist dagegen eine Eigenschaft und kombiniert sich folglich nur mit einem referentiellen Ausdruck. Operationen, die die Stelligkeit von Ausdrücken verändern, sind in der Syntax natürlicher Sprachen von großer Bedeutung.

Vertiefendes zu diesen Themen in der Prädikatenlogik und der Relationenlogik.

Grammatische Korrelate von Relationalität

Zahlreiche Verben sind zwei- oder mehrstellig; sie fallen in semantisch völlig heterogene Gruppen. Die meisten Substantive dagegen sind einstellig, so wie Apfel, Schreibtisch und Student. Es gibt bestimmte semantische Felder von Substantiven, die relationale Begriffe bezeichnen. Die prominentesten sind die folgenden:

Relationale Substantive
FeldBeispiele
VerwandteMutter, Sohn, Nichte ...
KörperteileKopf, Nase, Hand ...
RaumregionenSeite, Spitze, Grund ...

Substantive solcher Bedeutungen weisen in vielen Sprachen grammatische Besonderheiten auf (s. weiter unten), so daß man auch von grammatischer Relationalität spricht.

Auch Adjektive können in diesem Sinne relational sein, z.B. die folgenden:

x ist des y teilhaftig
x ist des y mächtig
x ist dem y gewachsen
x ist dem y treu

Grammatisch betrachtet, gehen mit einer Leerstelle immer auch Bedingungen ihrer Besetzung bzw. Beschränkungen über mögliche Besetzer und deren Form einher. Dazu gehört zunächst die Obligatorietät vs. Optionalität der Besetzung. Z.B. ist das zweite Argument von mächtig und treu optional, das von gewachsen jedoch obligatorisch. Zu den Beschränkungen gehören ferner semantische Klassen; z.B. kann bei gewachsen und treu eine Person die Stelle von y einnehmen, nicht jedoch bei mächtig. Schließlich gehört auch die grammatische Form von y zu diesen Beschränkungen: bei mächtig wird es im Genitiv, bei gewachsen und treu dagegen im Dativ angeschlossen. Dies sind die Korrelate grammatischer Relationalität. Sie sind bestenfalls teilweise aus der begrifflichen Relationalität ableitbar. Es gibt z.B. Wörter, deren Bedeutung in bestimmter Weise relational ist, deren grammatische Kombinatorik dem jedoch nicht entspricht. Das deutsche zupacken illustriert das: dem Begriff inhäriert ein Argument, welches Ziel der Manipulation ist; sprachlich kann es jedoch nicht angeschlossen werden.

Die Beispiele zeigen noch einmal die systematische Beziehung zwischen Eigenschaften und Relationen. Bei Adjektiven wie mächtig und treu ist das abhängige Argument optional; man spricht auch von mächtigen oder treuen Personen. Angesichts solcher Phänomene könnte man ‘x ist des y mächtig’ und ‘x ist dem y treu’ auch als “relationale Eigenschaften” bezeichnen.

Valenz

In der Chemie wurde die Valenztheorie um die Mitte des 19. Jahrhunderts begründet. Valenz (= Wertigkeit) ist danach die rein quantitative Eigenschaft eines Atoms (eines bestimmten chemischen Elements), eine bestimmte Anzahl von Wasserstoffatomen zu binden.

Die Basis der Relationalität

Wieso oder wozu enthalten sprachliche Zeichen Leerstellen; welche sprachliche Funktion wird durch Relationalität erfüllt? Wie alle Fragen, die sich auf die Funktion grammatischer Erscheinungen richten, steht auch diese im Spannungsfeld zwischen den kognitiven und kommunikativen Grundlagen dessen, was sprachlich erfaßt und übermittelt werden soll, und den Struktureigenschaften, die ein semiotisches System wie Sprache zu seinem Funktionieren braucht. Die Frage nach der Basis der Wortarten z.B. ist ganz parallel (und übrigens von der Frage der Relationalität nicht zu trennen, wie schon in de Groot 1949 klar gesehen ist). Eine funktional orientierte Antwort auf sie wird einerseits auf die begrifflichen Eigenschaften der Konzepte, die durch Sprache transportiert werden, und andererseits auf die Notwendigkeit, die Einheiten des Inventars zu kategorisieren, wenn sie denn nach Regeln verknüpft werden sollen, rekurrieren.

  1. Bereits Freges Feststellungen liegt die Voraussetzung zugrunde, daß Leerstellen Eigenschaften von Begriffen sind. Im Begriff der Nichte liegt, daß sie die Nichte von jemandem ist; der Begriff der Rückseite ist nicht konzipierbar ohne etwas, wovon sie die Rückseite ist; essen kann man nicht, ohne etwas zu essen. Insoweit dies gilt, hat Relationalität eine außereinzelsprachliche kognitive Grundlage.
  2. Andererseits erfordert die Effabilität natürlicher Sprachen, daß komplexe Zeichen aus einfacheren zusammengesetzt werden können. Zwischen den Bestandteilen komplexer Zeichen bestehen bestimmte Relationen bzw. werden welche geknüpft. Diese Relationen können selbst nicht auch Zeichen sein, denn sonst stünden wieder diese unverbunden nebeneinander und müßten verknüpft werden. Eine Lösung dieses semiotischen Problems ist es, die Relation bereits im Zeichen anzulegen. Neben den absoluten stehen somit die relationalen Zeichen; und diese letzteren sind nicht lediglich in einer allgemeinen Weise relational, sondern enthalten eine oder mehrere Leerstellen für ganz bestimmte syntagmatische Relationen, die sie zu anderen Zeichen eingehen.

Die kognitive und die semiotische Basis der Relationalität koinzidieren nicht. Die kognitive Basis betrifft zwar bestimmte Begriffe bzw. Kategorien von Begriffen, prädeterminiert jedoch deren einzelsprachliche Umsetzung nur ansatzweise. Die semiotische Basis ist in bezug auf die beteiligten (Kategorien von) Zeichen noch unspezifischer, impliziert jedoch, daß Relationalität nicht ein rein begrifflich-semantisches, sondern auch ein grammatisches Phänomen ist. Auf dieser theoretischen Grundlage ist zu erwarten, daß man in der Einzelsprache sowohl in der lexikalischen Semantik als auch in der Grammatik Relationalität finden wird. Die Relationalität bestimmter (Kategorien von) Sprachzeichen ist jedoch stets das Resultat einzelsprachlicher Formung.

Quantitative Valenz

Der quantitative Valenzbegriff betrifft die bloße Anzahl der Leerstellen des Valenzträgers, umfaßt also Avalenz, Monovalenz usw. Hierzu ist zweierlei festzustellen. Erstens geht in den Begriff der Valenz notwendigerweise ein Begriff wie Leerstelle, Argument oder Aktant als Definitionsvoraussetzung ein. Diese sind selbst nicht in erster Linie quantitative Begriffe (sie werden in der Tat nur selten quantitativ konzipiert), sondern haben in erster Linie qualitative Korrelate. Auf diesen, nicht auf dem quantitativen Aspekt, beruht das eigentliche Interesse des Valenzbegriffs. Zweitens ist es natürlich möglich, von der Menge der Leerstellen eines Valenzträgers gerade den Aspekt ihrer Mächtigkeit zu abstrahieren und begrifflich zu hypostasieren. Allerdings haben rein quantitative Begriffe in der strukturalen Linguistik im allgemeinen keinen zentralen Status. Die seit Tesnière stattgehabte Forschung zeigt denn auch, daß ein solcher Valenzbegriff ziemlich unfruchtbar ist. Auf ihn lassen sich Valenzklassen wie die der bivalenten Verben begründen. Die Elemente einer solchen Klasse, z.B. deutsch x heißt y, x bedarf des y, x folgt dem y, x reut den y, haben jedoch kaum irgendwelche semantischen oder grammatischen Eigenschaften gemeinsam. D.h., die so definierten Klassen sind keine natürlichen Klassen.

Eine interessante Beobachtung läßt sich allerdings an die quantitative Valenz anknüpfen:Sie korreliert offensichtlich mit der Zeitstabilität der Begriffe. Gegenstände sind konstanter als Relationen, denn zwei Gegenstände können eine Relation zwischen ihnen überdauern, aber nicht umgekehrt. Je mehr Argumente eine Relation zueinander in Beziehung setzt, desto hinfälliger ist sie. (Das entspricht auch einer Alltagserfahrung.) So erklärt es sich, daß prototypische Gegenstandsbegriffe nicht-relational oder auch nullwertig sind, während es andererseits keine nullwertigen Ereignisbegriffe gibt. Und wiederum kann ein Gegenstandsbegriff höchstens eine Leerstelle (nämlich eine rektive [s.u.] zu einem Possessor o.ä.) eröffnen, während Eigenschaftsbegriffe mindestens eine Leerstelle (eine modifikative für ihren Bezugspunkt) enthalten. Dreiwertige Begriffe finden sich fast ausschließlich unter den dynamischen; der prototypische dreiwertige Begriff, nämlich ‘geben’, ist ein Ereignisbegriff.

Arten von Relationen

In prädikatenlogischer Notation werden die Argumente eines Prädikats einfach hinter ihm aufgezählt, z.B. in Klammern und voneinander durch Komma abgetrennt:

x ist altALT (x)
x ist älter als yÄLTER (x, y)
x gibt dem y das zGIBT (x, y z)

In natürlichen Sprachen haben die Argumente zu dem Prädikat verschiedene grammatische und semantische Beziehungen. Im letzten Beispiel gilt:

xAgensSubjekt
yRezipientindirektes Objekt
zPatiensdirektes Objekt

Diese Information wird in der prädikatenlogischen Notation nicht wiedergegeben. Das hat zu tun mit der Auffassung, daß GIBT selbst bereits die hier in Rede stehende Relation ist, von welcher x, y und z die Relata sind. Die Relata sind aber auf die Relation nicht wieder durch eine Relation bezogen, sondern besetzen einfach deren Leerstellen. Auf dieses Problem komme ich unten zurück.

Die Leerstellen fallen, semantisch betrachtet, in zwei große Klassen. Betrachten wir noch einmal die Relation

x ist Nichte von y’.
Die Relation ist in folgendem Sinne asymmetrisch: Der Ausdruck Erna ist Erwins Nichte ist eine Gleichsetzung der referierenden Ausdrücke Erna und Erwins Nichte oder eine Subsumption von Erna unter Erwins Nichten. Mit anderen Worten, Erwins Nichte ist ein referierender Ausdruck, und er referiert gerade auf x, das Argument im Vorbereich der Relation.

Dasselbe gilt für alle Substantive: die erste Leerstelle ist immer in diesem Sinne referentiell. Wenn man also die Bedeutung von Apfel als APFEL(x) repräsentiert, so steht das einzige Argument dieses Prädikats gerade für das, worauf das Prädikat Apfel zutrifft. Das ist im prädikativen Gebrauch des Substantivs (B1) das Subjekt des Satzes, also in der Tat ein sprachlich als Satzglied manifestiertes Argument. Im referentiellen Gebrauch des Substantivs (B2) jedoch ist dieses Argument nicht ausgedrückt. Stattdessen ist die Leerstelle durch den Referenten besetzt zu denken. In B1 und B2 sind die a-Versionen russisch, die b-Versionen lateinisch.

B1.a.eto - jábloko
b.hoc malum est
c.das ist ein Apfel
B2.a.jábloko - krasno
b.malum rubrum est
c.der Apfel ist rot

Ein Substantiv ist ein Prädikat (im logischen Sinne), welches ohne weiteres referieren kann. Das gilt ohne jegliche Einschränkung für das russische und lateinische Beispiel B2.a und b, während im Deutschen unter bestimmten Bedingungen, die in B2.c erfüllt sind, ein Artikel hinzukommt. In dieser Referenzfähigkeit unterscheidet sich das Substantiv insbesondere vom Verb. Die Wortart ‘Substantiv’ existiert gerade zu diesem Zweck; und es gibt nicht wenige Sprachen so wie Deutsch (aber z.B. nicht Russisch; vgl. B1.a), welche eigens eine Kopula einsetzen müssen, wenn das Substantiv einmal nicht referieren, sondern wirklich als Prädikat gebraucht werden soll.

B3.a.Der Mount Everest ist hoch.
b.Der Berg ist hoch.

In logischer Analyse liegt in B3.a ein Elementarsatz vor, der der Konstante ‘der Mt. Everest’ das Prädikat ‘ist hoch’ zuschreibt, während B3.b komplex ist, weil Berg nicht als Prädikat BERG (x), sondern referentiell verwendet wird, so daß man (leicht informell paraphrasiert) analysieren muß:

‘für dasjenige x, für welches gilt BERG (x), gilt HOCH (x)’.
Die sprachliche Eigenschaft der ersten Leerstelle von ‘Berg’, referentiell zu sein, wird in dieser Repräsentation nicht genutzt.

Da jeder Ausdruck nur einen Referenten (oder eine Menge von Referenten) haben kann, sind alle weiteren Leerstellen, die ein Ausdruck haben kann, nicht referentiell. Z.B. ist in x ist Nichte von y die durch y eröffnete Leerstelle nicht referentiell, d.h. man kann diesen Ausdruck nicht ohne weiteres verwenden, um auf y zu referieren. (Man müßte ihn umformen, z.B. in dasjenige y, von dem x die Nichte ist, bzw. durch seine Konverse Tante ersetzen.)

Nicht-substantivische Prädikate sind vor der Anwendung weiterer Operationen nicht referenzfähig. Sie weisen aber eine analoge Asymmetrie ihrer Valenz auf. Prädikate wie die oben aufgeführten:

x ist altALT (x)
x ist älter als yÄLTER (x, y)
x gibt dem y das zGIBT (x, y z)

werden sämtlich dem ersten Argument (x) zugeschrieben (werden “über x prädiziert”). Das ist eben dasjenige Argument, welches grammatisch als Subjekt erscheint. Informell gesprochen, wird der Akt des Gebens im letzten Beispiel weder dem Rezipienten noch dem Patiens, sondern eben dem Agens zugeschrieben; und entsprechend für die anderen Beispiele.

Wir können also die beiden Arten von Leerstellen wie folgt charakterisieren: Es gibt pro Prädikat eine referentielle Leerstelle und beliebig viele nicht-referentielle Leerstellen. Die referentielle Leerstelle wird von dem Referenten besetzt, dem das Prädikat zugeschrieben wird. Die nicht-referentiellen Leerstellen werden von anderen Entitäten besetzt, welche lediglich als Referenzpunkte für die Prädikation dienen.

Wird das Prädikat als Substantiv versprachlicht, erscheint die referentielle Leerstelle grammatisch nicht. Wird das Prädikat als Adjektiv oder Verb versprachlicht, wird die referentielle Leerstelle vom Bezugsnomen des Adjektivs bzw. vom Subjekt des Verbs besetzt. Die nicht-referentiellen Leerstellen erscheinen grundsätzlich grammatisch als von dem Ausdruck - Substantiv, Adjektiv oder Verb - abhängige Nominalsyntagmen. Die beiden Arten von Leerstellen heißen in der Grammatik ‘modifikative’ vs. ‘rektive’ Leerstellen, und die grammatischen Relationen entsprechend ‘Modifikation’ und ‘Rektion’.

Ein Ausdruck kann mehr als eine rektive Leerstelle haben. Diese sind grammatisch immer voneinander verschieden. Z.B. kann die eine für ein direktes, die andere für ein indirektes Objekt vorgesehen sein. Die Besetzer dieser Leerstellen haben auch immer verschiedene Rollen in der bezeichneten Situation, z.B. (in einer Situation des Gebens) Rezipient und Patiens.

Ausrichtung

Adjektive und Verben sind keine referenzfähigen Ausdrücke; sie können auch bei Besetzung ihrer nicht-referentiellen Leerstellen nicht referieren. Hierin unterscheiden sie sich von - relationalen oder absoluten - Substantiven. Die folgende Tabelle zeigt Paare von Prädikaten und von auf ihrer Basis gebildeten referierenden Ausdrücken.

Prädikatreferierender Ausdruck
x ist ein Apfel der Apfel
x ist Nichte von Erna die Nichte von Erna
x ist alt der Alte
x bewundert Ernader Bewunderer von Erna
x gibt das Geschenk der Geber des Geschenks

Wie man sieht, ist an den Substantiven zwecks Referenz keine morphologische Modifikation nötig. An dem Adjektiv und an den Verben dagegen müssen Operationen vorgenommen werden, damit sie auf den Besetzer der Subjektsleerstelle referieren können. Diese Operation heißt (in der Linguistik) Ausrichtung eines relationalen Ausdrucks auf eine seiner Leerstellen.

Ein Prädikat kann nicht nur auf die Subjektsleerstelle, sondern auf jede seiner Leerstellen ausgerichtet werden. So prädizieren die Partizipien bewundert und gegeben den Akt über die Argumente y bzw. z und können sekundär auch zur Referenz auf dieses Argument verwendet werden (der Bewunderte, das Gegebene). Man nennt solche ausgerichteten Relationen auch Funktionen. Bocheński & Menne 1983:97 sprechen von der Ableitung einer Kennzeichung aus einer Relation. Z.B. bildet man auf der Basis der Relation x gibt dem y das z die Funktion Geber des y (an z); und auf der Basis der Relation x ist Nichte von y die Funktion Nichte von y.

Die Immaterialität der Relation

Betrachten wir die durch B4 bezeichnete Situation:

B4.Die Kreide ist neben dem Schwamm.

Wir sehen zwei Gegenstände. Die Relation zwischen ihnen, von der B4 spricht, ist nicht ein dritter Gegenstand in der Situation, sondern etwas Immaterielles. In der sprachlichen Repräsentation der Situation durch B4 ist dies jedoch entscheidend anders. Die beiden Entitäten sind durch je ein Sprachzeichen, (die) Kreide und (dem) Schwamm, repräsentiert, und die Relation zwischen ihnen ist ebenfalls durch ein Sprachzeichen, (ist) neben, repräsentiert. Freilich unterscheiden sich die drei Zeichen semantisch: die ersten beiden können referieren, das dritte nicht; und ex hypothesi haben die Kreide und dem Schwamm in B4 ein Denotatum, während (ist) neben nie und nimmer ein Denotatum haben könnte. Dieser semantische Unterschied berührt jedoch ihre Konstruktionseigenschaften nicht: es sind Zeichen, die im Satzzusammenhang grammatisch und semantisch aufeinander bezogen sind.

Ein weiteres Beispiel: In dem Satz B5

B5.Erna schenkt dem Bettler einen Taler.

bringt der Dativ an dem Bettler die syntaktische Funktion des indirekten Objekts und somit die semantische Funktion des Rezipienten zum Ausdruck. Ein Relator ist ein sprachliches Zeichen (gewöhnlich ein grammatisches Formativ), das eine Relation zwischen zwei anderen sprachlichen Zeichen, seinen Relata, ausdrückt. Das ist eine zweistellige Relation, deren Leerstellen von den Relata besetzt werden. Z.B. ist in die Nichte von Erna die Nichte das eine, Erna das andere Relatum, und von der zweistellige Relator. Sprachlich wird also die Relationalität von Nichte überhaupt nicht genutzt. Wie aber wird die Relation zwischen diesem Relator und jedem seiner Relata hergestellt? Im Falle der Präposition von geschieht dies durch den Dativ, in welchem Erna (in diesem Beispiel unsichtbar) steht. Der Dativ ist, wie soeben in B5 gesehen, seinerseits ein Relator, der den nominalen Ausdruck, an dem er hängt, mit dem übergeordneten Ausdruck verbindet.

Immer, wenn eine Relation durch ein eigenes Sprachzeichen ausgedrückt wird, steht dieses wieder unverbunden neben den Sprachzeichen, welche seine Relata sind, und erfordert zur Verbindung mit diesen einen Relator, also ein weiteres Sprachzeichen. Hier droht offensichtlich ein infiniter Regreß. Er läßt sich nur dadurch kappen, daß eine Relation keinen eigenen Ausdruck erhält, sondern eben einem anderen Ausdruck inhäriert. Die Relationalität von Begriffen und Zeichen ist irreduzibel.

Inhärenz vs. Etablierung

Die Unterscheidung zwischen relationalen und nicht-relationalen Substantiven erscheint in vielen Sprachen als grammatische Unterscheidung, in Form zweier Klassen von Substantiven, nämlich alienabler und inalienabler Substantive. Im Andoke (isolierte Sprache Amazoniens) kommen inalienable Substantive, wie in B6.a, nur mit einem Possessivpronomen vor, während alienable, wie in B6.b, auch ohne Possessivum vorkommen.

B5. a.ha-domib-óya-*domib-óya
AndPOSS.2.SG-handASS-CL2hand ASS-CL2
'it is your hand'- 'it is a hand' (Landaburu 1979: 133)
 b.dú'ub-i
waterASS-CL1
“it is water”

In manchen Sprachen erfordert possessive Attribution zu alienablen Substantiven zusätzliche Strukturmittel. Im yukatekischen Maya (Mexiko) fallen Substantive in eine Anzahl grammatischer Klassen nach dem Kriterium, ob und wie sie in possessiven vs. nicht-possessiven Kontexten vorkommen. Verwandtschaftstermini, eine Teilmenge der inalienablen Substantive, kombinieren sich unmittelbar mit Possessivpronomina (B6.b). Sollen sie ohne Possessivpronomen verwendet werden, müssen sie zuerst derelationiert (oder absolutiviert) werden. Das geschieht dadurch, daß sie mit einem Absolutivsuffix versehen werden, welches ihre Leerstelle besetzt und somit blockiert (B6.a). Andererseits gibt es eine Subklasse alienabler Substantive - illustriert in B7 -, die ohne weiteres in nicht-possessiven Kontexten konstruiert werden (B7.a), jedoch relationalisiert, d.h. in die Klasse der relationalen Substantive konvertiert, werden müssen, wenn sie mit einem Possessivpronomen verbunden werden sollen (B7.b).

B6.a.letàatah-tsil-o'
YM DEFfather-ABSOL-D2
“the father”
 b.intàatah
  POSS.1.SGfather
“my father”
B7.a.lenah-o'
YM DEFhouse-D2
“the house”
 b.innah-il
  POSS.1.SGhouse-REL
“my house”

Die Sprache unterscheidet also durch die beiden Klassen von inalienablen und alienablen Substantiven grammatisch zwischen solchen possessiven Relationen, die einem der Relata inhärieren, und solchen, die zwischen ihnen etabliert werden. Für die letzteren wird eigens ein Relator hinzugezogen; die ersten benötigen keinen eigenen Ausdruck. Näheres hierzu in dem Abschnitt über Possession.


1 Gottlob Frege (1891) unterscheidet die Funktion, die "unvollständig, ergänzungsbedürftig oder ungesättigt" ist, von ihren Argumenten, deren jedes "ein in sich abgeschlossenes Ganzes ist" (22), und wendet diese Konzeption (29ff) auch auf - einfache und komplexe - sprachliche Zeichen an. Eine Funktion hat mindestens eine "leere Stelle" (30) bzw. "Argumentstelle" (1904:89).