In aller Sprachtätigkeit sind zwei Situationen allgegenwärtig, die sich auf verschiedenen Ebenen befinden:
Angenommen, Erna trifft Erwin und sagt zu ihm B1:
B1. | Hast du eigentlich Ludwig angerufen? |
Die Sprechsituation findet – aus Sicht ihrer Teilnehmer – jetzt statt. Ihre Teilnehmer sind in B1 Erna und Erwin, und die Handlung, die die Situation charakterisiert, ist Ernas Frage an Erwin. Die dargestellte Situation dagegen findet zu einem früheren Zeitpunkt statt (falls sie denn stattfindet). Zu ihr gehören Erwin und Ludwig, und sie besteht darin, daß Erwin Ludwig anruft.
Das Schaubild stellt dar, wie Sprechsituation und dargestellte Situation aufeinander bezogen sind. Die dargestellten Partizipantenbeziehungen passen z.B. auf B2.
B2. | ich[Part.1] lege dir[Part.2] eine Last[Part.3] auf die Schulter[Part.4]. |
Die dargestellte Situation wird aus dem Blickwinkel der Sprechsituation betrachtet. Diese dient als Bezugspunkt oder “Anker” für die dargestellte Situation. Die Komponenten der Sprechsituation können alle Gegenstand oder Bezugspunkt der Rede und somit auch Komponenten der dargestellten Situation sein. In B1 z.B. ist Erwin sowohl Element der Sprechsituation als auch Element der dargestellten Situation. Daß in der dargestellten Situation Elemente der Sprechsituation vorkommen, ist in so wesentlicher und regelmäßiger Weise der Fall, daß alle Sprachsysteme der Welt darauf mit dedizierten Mitteln reagieren.
Terminologisch ist folgendes zu beachten: Der Ausdruck Partizipant ist zwar die lateinische Fassung von dt. Teilnehmer; jedoch sind die Termini wie folgt genormt:
Ein wesentlicher Teil der kognitiven Größen, die in allen Sprachen in größerem oder geringerem Maße grammatikalisiert sind, ergibt sich aus der Grundkonfiguration des Sprechaktes. Da ist ein Sprecher, der den Sprechakt zustandebringt, und ein Hörer, an den er gerichtet ist.1 Und da ist die raumzeitliche Situation, in der das geschieht und in deren Zentrum der Sprecher steht. 'Ich' ist immer der, der ich sagt; 'hier' ist immer da, wo der Sprecher ist; und 'jetzt' ist immer dann, wenn der Sprecher es sagt.
Die wesentlichen Komponenten der Sprechsituation sind in folgender Tabelle zusammengestellt:
Nr. | Bereich | Komponenten | Einzelheiten |
---|---|---|---|
1. | physikalische Welt | Teilnehmer des Sprechaktes alles in der Sprechsituation Vorhandene | Sprecher und Hörer |
Raum der Sprechsituation | |||
Zeit der Sprechsituation | |||
nicht-sprachliche Aktivität der Sprechaktteilnehmer | |||
Kommunikationskanal und Medium | mündlich vs. schriftlich | ||
2. | soziale Welt | soziale Rollen und Status der Sprechaktteilnehmer | Höflichkeit |
Formalität der Situation | Register, Stilebene | ||
3. | gedankliche Welt2 | Redeuniversum | Bewußtseinsstand und Aufmerksamkeit der Sprechaktteilnehmer |
4. | sprachliche Welt | Kontext i.e.S. | gemachte und zu erwartende Äußerungen |
Diese Komponenten haben die Sprechaktteilnehmer immer präsent, berücksichtigen sie in der Rede und beziehen sich darauf. Ihre Gesamtheit wird gelegentlich (z.B. Levinson 1983:22f) auch ‘Kontext i.w.S.’ genannt, also die gedankliche und reale Welt, in die die Sprechsituation eingebettet ist.
Mehrere von diesen Komponenten begründen die sprachliche Deixis. Vom Redeuniversum handelt ebenfalls ein eigener Abschnitt.
Levinson, Stephen C. 1983, Pragmatics. Cambridge: Cambridge University Press (Cambridge Textbooks in Linguistics) (Repr. 1987, 1991); ch. 2.
1 Mit Hörer ist stets ‘Adressat’ gemeint (s. Levinson 1983:72), im Gegensatz zu jemandem, der die Äußerung zwar hört, aber gar nicht angesprochen ist.
2 Zur gedanklichen Welt wird gelegentlich auch das Weltwissen oder enzyklopädische Wissen der Sprechaktteilnehmer gerechnet, weil sie es beim Meinen und Verstehen von Äußerungen notwendigerweise einbeziehen. Aber es ist nicht in der Sprechsituation, solange sie es nicht gemeinsam aktiviert haben.