Die folgenden Hinweise für den Aufbau eines Literaturreferats beruhen auf der Voraussetzung, daß dieses Bestandteil einer akademischen Lehrveranstaltung ist.
Mehrere der Hinweise beziehen sich auf den Fall, daß genau ein Werk oder höchstens eine kleine Menge inhaltlich eng zusammenhängender Werke referiert werden. Handelt es sich dagegen um ein thematisches Referat, so entwickelt der Referent eine eigene Systematik des Gegenstandes, in welche er die gelesenen Werke zu integrieren hat. Wenn also das Ziel ein thematisches Referat ist, ist es nicht sachdienlich, die gelesenen Werke unverbunden nebeneinander zu präsentieren.
Der folgende Aufbau eines Literaturreferats gibt in erster Linie ein Gerüst von Fragen vor, die durch ein Referat zu beantworten sind, nur in zweiter Linie eine Reihenfolge, in der die Punkte abzuarbeiten sind.
Dieselben Fragen stellt sich im Prinzip jemand, der eine Rezension schreibt, eine studentische Hausarbeit benotet oder ein Gutachten über eine Arbeit (eine Examensarbeit, eine Dissertation usw.) abgibt. S. dazu den Abschnitt zur Beurteilung wissenschaftlicher Arbeiten.
Dieselben Fragen kann sich schließlich, mutatis mutandis, auch der Autor eines Werks selbst stellen, denn die Anforderungen an den Aufbau eines Referats sind ganz ähnlich wie die Anforderungen an eine wissenschaftliche Arbeit.
Im folgenden ist stets von “dem Werk” und “dem Autor” die Rede; wenn es mehrere sind, gilt Analoges.
1. Kontextsensitive Standortbestimmung
Einordnung des bevorstehenden Referats in den Gesamtaufbau der Veranstaltung:
- Wo stehen wir?
- Was war bisher die Fragestellung? Die Lösungen?
- Gibt es jetzt eine neue Fragestellung?
- Wie fügt sich das Referat da ein?
Wenn der Referent diesen Punkt nicht behandelt, tut es der Moderator der Veranstaltung.
2. Bibliographie
- Vollständige bibliographische Angaben über das zu referierende Werk.
- Hinweise auf damit zusammenhängende Werke.
- Kurze Angaben zur Person des Autors.
3. Inhalt und Aufbau des Referats
- Vorblick auf das zu Erwartende.
- Grobe Struktur des Referats.
Diesen Vorblick gibt man nicht nur, um dem Hörer die Orientierung zu erleichtern, sondern auch, damit er nicht versucht ist, durch Zwischenfragen Themen vorwegzunehmen, deren Behandlung der Referent für später vorgesehen hat.
4. Ziele
Die Punkte 4 – 8 betreffen nicht das Referat, sondern das zu referierende Werk.
4.1. Forschungsstand
- Welches sind die wichtigsten vorangehenden Arbeiten auf demselben Gebiet (inkl.
solcher, die der Autor nicht berücksichtigt)?
- Was setzt das zu referierende Werk als bekannt bzw. erreicht voraus; worauf baut es auf?
4.2. Ziele des Werks
- Welche Idee liegt zugrunde, welche Hypothesen werden verfolgt?
- Spezielles Ziel (durch gewählte Theorie und Methode bedingt).
- Allgemeines Ziel (innerhalb der Wissenschaft zu rechtfertigen).
4.3. Theoretischer Ansatz
- Ordnet sich das Werk in eine bestimmte Strömung, ein Modell, Paradigma der
Wissenschaft ein?
- Welche spezifische Theorie wird vorausgesetzt? Ggf. Informationen über diese Theorie, ihre wesentlichen Begriffe etc.
- Welche Rolle spielen die gesetzten Ziele innerhalb dieser Theorie?
5. Daten und Methoden
- Was für Daten werden verwendet?
- Woher stammen sie?
- Welche Methoden der Datenerhebung werden verwendet?
- Werden die Daten qualitativ oder quantitativ analysiert?
- Wie rechtfertigen sich die Methoden auf der Basis der Ziele, der Theorie und der Natur der Daten?
- Welches Klassifikationsschema liegt der Analyse zugrunde?
- Technische Hinweise: Ungewohnte Symbole, Notationen etc.
6. Argumentationsgang
- Was soll gezeigt/erklärt/bewiesen werden?
- Welche Prämissen werden vorausgesetzt; welche Annahmen werden gemacht?
- Welche Generalisierungen werden gemacht?
- Werden die Hypothesen bestätigt oder verworfen?
- Welcher Schluß wird gezogen?
7. Ergebnisse
- Was sind die Ergebnisse?
- Was tragen sie zum Forschungsstand bei?
- Welche Relevanz haben sie für die Wissenschaft?
- Welche Möglichkeiten werden eröffnet, welche Forschungsrichtungen/Erkenntnisquellen aufgezeigt?
8. Kritik
- Wie ist die Arbeit geschrieben/angelegt/aufgebaut? Verständlich/langatmig/konfus?
- Gibt es genug/zu viele Beispiele?
- Sind die angestrebten Ziele erstrebenswert?
- Ist die zugrundegelegte Theorie zeitgemäß/fragwürdig/explizit genug?
- Reichen die herangezogenen Daten aus? Sind sie verläßlich?
- Ist die angewandte Methode gesund?
- Sind die Daten richtig interpretiert?
- Werden die empirische Problematik, die vorausgesetzte Theorie, die angewandten
Methoden überhaupt verstanden?
- Werden Annahmen ad hoc gemacht?
- Ist die Argumentation kohärent, schlüssig, zirkulär?
- Sind die gesetzten Ziele erreicht?
- Welche Fragen bleiben offen, welche Probleme ungelöst?
- In welchem Verhältnis stehen Aufwand und Resultat?
- Ist die Arbeit originell/bahnbrechend/programmatisch oder konservativ/ Vorgegebenes ausfüllend/rückständig?
Darstellung (Referat i.e.S.) und Kritik müssen erstens angemessen gewichtet und zweitens klar auseinandergehalten werden. Wenn man etwas “kritisch referiert”, so entsteht beim Hörer kein klares Bild davon, was im referierten Werk steht und was der Referent dazu meint.
9. Zusammenfassung
- Was ist durch das referierte Werk erreicht?
- Wie hat sich dadurch der Stand der Dinge in der Veranstaltung verändert?
- Was wäre als Nächstes wichtig zu tun?
Hier gilt wie für Punkt 1, daß der Moderator ihn übernehmen wird, wenn der Referent es nicht tut.