Zwei Sprachen sind in Kontakt nicht in erster Linie dadurch, daß ihr Sprachgebiet aneinandergrenzt, sondern dadurch, daß ein Teil mindestens einer der zugehörigen Sprachgemeinschaften bilingual ist, also die jeweils andere Sprache bis zu einem gewissen Grade spricht. So sind z.B. Deutsch und Französisch Kontaktsprachen nicht deshalb, weil Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Grenze haben, sondern weil ein Teil der französischen Sprachgemeinschaft (u.a. im Elsaß) auch Deutsch spricht und ein Teil der deutschen Sprachgemeinschaft (z.B. infolge Schulbildung) auch Französisch.
Wenn Sprache L1 die native Sprache einer Gemeinschaft ist und Sprache L2 als die Sprache derjenigen, die die Macht haben, eingeführt wird, so ist L1 die Substratsprache (oder einfach das Substrat) von L2, und L2 ist die Superstratsprache (oder einfach das Superstrat) von L1. Beispiel: Nachdem Gallien von Julius Cäsar erobert worden war, war dort Gallisch Substrat, Lateinisch Superstrat.
L2 ist eine Adstratsprache (oder einfach ein Adstrat) von L1, wenn ein Teil der Sprachgemeinschaft von L1 auch L2 spricht, ohne daß ein klares Machtgefälle zwischen den Sprachen in der Sprachgemeinschaft von L1 herrschte. Z.B. ist Englisch ein Adstrat in der deutschen Sprachgemeinschaft.
Diese Begriffe sind historisch zu verstehen in dem Sinne, daß ein Superstrat-Substratverhältnis und ein Adstratverhältnis normalerweise an eine bestimmte historische Situation gebunden ist.
Infolge der Machtverhältnisse setzt sich eine Superstratsprache auf lange Sicht oft gegenüber der Substratsprache durch und verdrängt diese vollständig. So ist es z.B. in Lateinamerika im Verhältnis zwischen Spanisch und Portugiesisch als Superstratsprachen und den Indianersprachen als Substratsprachen in den meisten Fällen bereits passiert. Gelegentlich freilich nehmen die Eroberer die Substratsprache an; so etwa die Goten zum Ausgang des Altertums in Spanien.
Zur Orientierung über die folgenden Örtlichkeiten dient diese Karte.
a. der heutigen romanischen Sprachen
Dakien ist das heutige Südrumänien. Die Daker sprachen Dakisch. Davon sind jedoch ausschließlich Sprachtrümmer erhalten, so daß nicht einmal klar ist, wie sich Dakisch genau zu dem südlich benachbarten Thrakisch verhält; es könnte davon ein Dialekt sein. Dakien wurde unter Augustus römische Provinz und 270 n.Ch. offiziell aufgegeben. Das genügte für die vollständige Romanisierung. Dakisch starb zugunsten von Rumänisch aus.
Illyrien ist die Region am Ostgestade der Adria, also von Kroatien im Norden bis Albanien im Süden. Illyrisch ist eine indogermanische Sprache, die Vorstufe des Albanischen. Illyrien wurde romanisiert und Illyrisch also - außer eben in Albanien - von Romanisch verdrängt. Man sprach dort bis ins 19. Jh. noch romanische Sprachen, insbesondere Dalmatisch.
Die Substratsprachen des Lateinischen in Italien sind in Kap. 2.3 besprochen worden. Nach etwa 200 war von diesen nur noch das Griechische übrig.
Im Spätlatein herrschte massiver Einfluß der griechischen Verkehrssprache. Darüber hinaus bestand in Süditalien 535 - 1071 byzantinische Herrschaft. Deshalb wurde der dortige dorische Bestand von der Koine überlagert, und viele Lehnwörter aus einer viel späteren Stufe des Griechischen gelangten ins Protoromanische. Daher gibt es viele Wörter griechischer Herkunft in romanischen Sprachen:
Latein | Bedeutung | Italien. | Franz. | Span. |
angelus | Engel | angelo | ange | ángel |
balneum | Bad | bagno | bain | baño |
bracchium | Arm | braccio | bras | brazo |
charta | Papier | carta | charte | carta |
chorda | Schnur | corda | corde | cuerda |
diaconus | Diakon | diacono | diacre | diácono |
ecclesia | Kirche | chiesa | église | iglesia |
episcopus | Bischof | évêque | bispo | |
epistula | Brief | |||
gamba | Bein | gamba | jambe | - |
hymnus | Hymne | inno | hymne | himno |
martyrium | Martyrium | martirio | martyre | martirio |
monachus | Mönche | monaco | moine | monje |
nauta | Seemann | - | - | - |
parabola | Gleichnis; Wort | parola | parole | palabra |
petra | Stein | - | pierre | piedra |
poēta | Dichter | poeta | poète | poeta |
presbyter | Priester | prete | prêtre | prete |
*tius | Onkel | zio | - | tío |
Sardinien war seit der Jungsteinzeit besiedelt. Dort herrschte eine "mediterrane" Kultur, deren Sprache nicht bekannt ist. Von -537 bis zur Ankunft der Römer wurde dort auch Punisch gesprochen. Die Substratsprachen waren folglich "Mediterran" und Punisch. Die Romanisierung war seit -238 langsam, aber total. Wegen der relativen Isolation Sardiniens ist das Sardische heute die konservativste, also dem Lateinischen ähnlichste romanische Sprache.
Korsika war ebenfalls seit der Jungsteinzeit besiedelt. Dort herrschte eine "mediterrane" Kultur, deren Sprache vermutlich Ligurisch war. Von -537 bis zur Ankunft der Römer wurde dort auch Etruskisch gesprochen. Die Substratsprachen waren folglich Ligurisch und Etruskisch. Die Romanisierung war seit -238 langsam, aber total. Bis heute wird dort Korsisch gesprochen.
Information zum Gallischen hier.
Iberien war lange vor der Ankunft der Römer dicht von Völkern verschiedenster Herkunft besiedelt. Diese Karte orientiert über die geographische Verteilung der wichtigsten Sprachen.
An der Ostküste der Halbinsel wurde Iberisch gesprochen, eine nicht-indogermanische Sprache. Seit langem ist Baskisch für deren modernen Fortsetzer gehalten worden; doch ist das nicht sicher. Jedenfalls enthält Baskisch zahlreiche lateinische Lehnwörter.
Im nordöstlichen Zentraliberien wurde Keltiberisch gesprochen, eine ursprünglich keltische (also indogermanische und eng mit Gallisch verwandte) Sprache, die jedoch anscheinend stark mit Iberisch vermischt war.
In Zentralportugal wurde Lusitanisch gesprochen, eine trümmerhaft überlieferte Sprache, die evtl. ebenfalls keltisch war.
In Südwestportugal wurde Tartessisch gesprochen, dessen genetische Affiliation komplett unklar ist.
An der Ostküste der iberischen Halbinsel gab es mehrere punische und griechische Kolonien.
Iberien wurde nach dem punischen Krieg, seit -197, romanisiert. Mit Augustus ist die Romanisierung abgeschlossen; -19 steht die ganze iberische Halbinsel unter römischer Herrschaft.
b. Zusätzlich in der Antike
In der Antike gibt es weitere Substratsprachen des Lateins in Gegenden, wo das Lateinische bzw. romanische Sprachen sich nicht gehalten haben:
Rätien ist ein Gebiet im heutigen Tirol (Westalpenraum nördlich des Gardasees zwischen Innsbruck und Vicenza). Dort wurde bis zur Romanisierung Rätisch gesprochen, eine nichtindogermanische Sprache, die in 50 Inschriften auf Gegenständen und Denkmälern überliefert ist. Die Sprache hat dem Rätoromanischen lediglich den Namensbestandteil geliefert.
In Britannien wurden ursprünglich nicht-indogermanische Sprachen, dann Keltisch gesprochen. Die Sprachen Britanniens wurden zum großen Teil nicht durch Lateinisch, sondern erst viel später durch Angelsächsisch verdrängt.
Noricum ist eine antike Region, die ungefähr den östlichen Teil Österreichs und den Westen von Slowenien und Kroatien umfaßt. Dort wurden ursprünglich Keltisch und Illyrisch gesprochen. Noricum wurde -15 von den Römern erobert, später römische Provinz. Ein Teil Noricums wurde 488 germanisch, der Rest um 600 slavisch.
Das antike Pannonien ist ungefähr Ungarn. Dort wurde vermutlich Illyrisch gesprochen. Pannonien wurde -9 von den Römern erobert und später römische Provinz. Nach Ende der römischen Herrschaft 433 kamen dorthin zuerst Hunnen, dann Germanen und später Magyaren.
Das Zentrum der Romanisierung Nordafrikas war Karthago. Gegen Osten ging sie bis zur Kyrenaika (Ostlibyen). Von da gen Osten wurde Griechisch gesprochen. Im Westen ging die Romanisierung bis Numidien (heute Marokko). Die Substrate sind Punisch und Numidisch, was wohl der antike Vorläufer von Berber ist.
Im gesamten Osten des römischen Reiches hatte sich Latein niemals gegen Griechisch durchsetzen können; d.h. diese Gebiete wurden sprachlich nicht romanisiert. Z.B. in Thrakien, wo zunächst Thrakisch gesprochen wurde, wurde später Griechisch und noch später Bulgarisch, aber nie eine romanische Sprache gesprochen.
Slavisch und griechisch überlagert. Dies waren zunächst die Literatursprachen.
Das Dalmatische wurde slavisch überlagert und ist im 19. Jh. ausgestorben.
Seit der Völkerwanderung wurden in Italien diverse germanische Sprachen gesprochen. Die Germanen haben sich jedoch kulturell rasch assimiliert und, von einigen Lehnwörtern abgesehen, keinen großen Einfluß auf das Italienische genommen.
Ähnlich sind in Sardinien die Vandalen eingefallen, haben dort aber ebenfalls keine nennenswerten Spuren hinterlassen.
Im 5. Jh. wurde das bis dahin römische Land von den Franken erobert. Das Französische wurde im Osten vom Flämischen (einer Varietät des Niederländischen) verdrängt.
Das im Süden gesprochene Latein wurde zunächst (seit 409) vom Angelsächsischen verdrängt. Dieses wurde allerdings später wieder vom normannischen Französisch - also einer romanischen Sprache! - als Superstrat überlagert.
In Nordafrika wurden bis ins 8. Jh. im Westen Lateinisch, im Osten Griechisch gesprochen. Beide wurden mit der Ausbreitung des Islam vom Arabischen verdrängt.