Delfin 4 in NRW
In Nordrhein-Westfalen gilt seit 2007 ein Schulgesetz, wonach sich alle Kinder im Alter von vier Jahren einem Sprachstandstest unterziehen müssen. Der Sprachkompetenztest für Vierjährige wurde von Lilian Fried (Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit, Universität Dortmund) entwickelt. Er wird vorgestellt in ‘Delfin 4 - ein Verfahren zur Diagnose und Förderung der Sprachkompetenz von Kindern zwei Jahre vor der Schule’1 und seit März 2007 angewandt. Die erste Stufe dient dem “Grobscreening”, die zweite dem “Feinscreening”.
Die erste Stufe von Delfin 4 heißt “Besuch im Zoo”, dauerte in der ersten Fassung etwa 45 min, seit 2008 etwa 25 min. Der Test wird wie ein Spiel durchgeführt, an dem sich bis zu vier Kinder gleichzeitig beteiligen können, und umfaßt vier Aufgabenbereiche (vgl. auch die Website des NRW-Schulministeriums):
- Sätze nachsprechen: Ziel ist es, Grammatikkompetenz zu überprüfen. Anhand freier Äußerungen ist das nicht systematisch möglich, anhand des Nachsprechens von Sätzen, deren grammatische Eigenschaften man kontrolliert, dagegen schon. Die Sätze sind syntaktisch komplex, damit sie nicht einfach als Höreindruck imitiert werden können. Es werden je zwei sinnvolle und sinnfreie Sätze geboten. Bei letzteren hilft die Semantik nicht zur Konstruktion, so daß hier Grammatikbeherrschung in Reinform überprüft wird. Beispiele sinnvoller Sätze sind “Der Hase wird von Lukas gestreichelt.” oder “Ayla ist fröhlich, weil sie ihren Hund gefunden hat.” Beispiel Kunstsätze: “Heute trinkt das schlaue Telefon einen Tisch.” oder “Wenn die Gabel schläft, springt sie in den Abend.” Wenn die Kindäußerung zum o.a. zweiten normalen Satz lautet “Ayla is fröhlich, weil sie hat Hund gefunden” dann gibt es 8 von 9 Punkten. “Der Hase wird gestreicheln” ergibt 3 von 6 möglichen Punkten.
- Kunstwörter nachsprechen: Ziel ist es, das phonologische Arbeitsgedächtnis zu überprüfen. Es werden Nonsenswörter vorgesprochen, die nachzusprechen sind. “Da Kindern das Nachsprechen von wortähnlichen Kunstwörtern leichter fällt, als das von wortunähnlichen, musste die Laut-, Silben- und Wortstruktur des Deutschen berücksichtigt werden. Weitere Konstruktionskriterien, die gleichzeitig auch Indizien für den Schwierigkeitsgrad der Kunstwörter darstellen, waren Silbenzahl, Prosodie, Endungen der Silben usw. Ebenfalls berücksichtigt wurde, dass das Nachsprechen von Kunstwörtern nicht die artikulatorischen Fähigkeiten abprüfen will, sondern die Kapazität des phonologischen Arbeitsgedächtnisses. Aus diesem Grunde wurde vermieden, an-spruchsvollere Konsonanten und Konsonantencluster zu verwenden.”
- Handlungsanweisungen ausführen: Die Anweisungen beziehen sich auf die Spielfiguren und den Spielplan, z.B. “Stelle deine Figur neben das Haus mit dem Blumenfenster.”. Falls ein Kind an dieser Aufgabe scheitert, kann dies auf grammatische oder semantische Probleme, aber auch auf Probleme des sprachverarbeitenden Gedächtnisses verweisen.
- Bilderzählung: Es wird ein Bild mit einer dynamischen Darstellung geboten, die das Kind als Geschichte erzählen soll. Es wird in erster Linie die Diskurskompetenz überprüft; Grammatik und Phonetik/Phonologie wird nebenbei mit abgehört.
Kommentar einer unzufriedenen Mutter: Hier werden Zugzwänge im Gespräch geschaffen, die das Kind erkennen und bedienen muss (z.B. durch selbständiges Eröffnen, Markieren von Höhepunkten, Dramatisieren, um den Zuhörer zu bannen und Beenden). Wow, das hört sich nach einem Rhetorikseminar für Verkaufsgespräche an! Die Punktevergabe ist so gestaffelt, dass je mehr Fähigkeiten ein Kind durch seine Äußerungen erkennen lässt, desto mehr Punkte gibt es. 12 verschiedene Handlungsäußerungen sind möglich.
Nach Durchlaufen von Stufe 1 werden die Kinder in drei Gruppen sortiert:
- Kinder, die eindeutig eine mindestens altersgerechte Sprachkompetenz haben, haben das Verfahren abgeschlossen.
- Kinder, deren Sprachstand nach der ersten Stufe zweifelhaft ist, kommen in die zweite Stufe.
- Kinder, die eindeutig eine nicht altersgerechte Sprachkompetenz haben, erhalten Sprachförderung.
Die zweite Stufe heißt “Besuch im Pfiffikushaus”. Sie ist ein 35minütiger Individualtest, der das “Feinscreening” leistet. Das Resultat ist ein Sprachentwicklungsprofil des Kindes, das zu der differenzierten Diagnose auch Hinweise zur abgestimmten Therapie liefert. Es gibt wieder vier Aufgabenbereiche, die denen von Stufe 1 ziemlich ähnlich sind.
Nach Abschluß der zweiten Stufe werden die Kinder wiederum den obigen Gruppen 1 und 3 zugewiesen. Die Sprachförderung ist für Kinder der Gruppe 3 obligatorisch. Sie wird im Kindergarten von Erziehern geleistet.
Der Test testet ausdrücklich und nur die deutsche Sprachfähigkeit, unter der Voraussetzung, daß genau diese für eine weitere Laufbahn in Deutschland benötigt wird. Er ignoriert die Kompetenz des Kindes in irgendeiner anderen Sprache, macht also insofern keine Aussage über die sprachliche Entwicklung des Kindes. Nichtsdestoweniger gibt Fried zu Protokoll (02.04.2003): “Wir wollen mit möglichst einfachen Mitteln klären, welche Kinder altersgerecht entwickelt und unauffällig sind.”
Delfin 4 ist unabhängig von schon länger bestehenden Tests, die Ärzte, Sprachtherapeuten und Logopäden durchführen, um Auffälligkeiten in der sprachlichen Entwicklung zu diagnostizieren und eine Therapie anzuschließen. Da er auf deutschsprachige Kompetenz, nicht auf Sprachfähigkeit gerichtet ist, achtet er auch nicht auf die physiologischen Voraussetzungen der Sprachfähigkeit, z.B. Hörvermögen.
Nach den Ergebnissen von 2007 kommen etwa 20% der getesteten Kinder in die vorschulische Sprachförderung. In den Städten sind es mehr als auf dem Lande. Bei den Kindern, die nicht in eine Kindertagesstätte gehen, liegt der Anteil bei 40%.
Fit in Deutsch in Niedersachsen
In Niedersachsen werden seit 2003 spätestens 15 Monate vor der Einschulung Sprachstandstests durchgeführt. Der Sprachstandstest des Niedersächsischen Kultusministeriums ist “Fit in Deutsch”. Kinder, deren Sprachkenntnisse (voraussichtlich) nicht ausreichen, nehmen obligatorisch an Sprachfördermaßnahmen teil.
Der Sprachstandstest überprüft Deutschkenntnisse. Die Erwartungen betreffen
- Wortschatz
- Grammatik
- Pragmatik (Kommunikationsfähigkeit)
- deutliches Sprechen.
Die Sprachförderung richtet sich ausdrücklich in erster Linie an Kinder, in deren Familie nicht Deutsch gesprochen wird. Sie ist obligatorisch.
Der Test leistet ein grobes Screening. Die Differentialdiagnose wird erst zu Beginn der Fördermaßnahme geleistet.
Kinder, die in bezug auf Wortschatz unauffällig sind und nur Defizite in Grammatik oder Aussprache aufweisen, nehmen nicht an der Förderung teil.
1 Delfin = Diagnostik, Elternarbeit, Förderung der Sprachkompetenz in NRW für Vierjährige. PDF 2024 vom Web genommen.