Sprechaktverben
Eine Sprechsituation ist jedenfalls eine Situation. Sie ist dynamisch und kontrolliert; ein solcher Situationskern wird jedenfalls durch ein Verb bezeichnet. Die betreffenden Verben heißen in der traditionellen Grammatik Verba dicendi “Verben des Redens” bzw. Kommunikationsverben. Gemeint sind solche Verben wie sagen, äußern, fragen, behaupten usw.
Sprechaktverben sind Verben wie die folgenden:
ankündigen, anweisen, auffordern, befehlen, begrüßen, behaupten, beschreiben, bitten, erlauben, feststellen, fragen, gratulieren, heiraten, kündigen, raten, verleumden, vermachen, versprechen, wetten
Sie lassen sich nach einer Menge von Kriterien klassifizieren, darunter:
- Zeitstabilität, insbesondere Telizität,
- Valenzrahmen,
- Performativität (s.u.).
1. Die meisten Sprechhandlungen sind telisch, und zwar anfangsbegrenzt. Es sind folglich Akte. Das gilt für die Situationskerne, die durch Verben wie sagen, fragen, antworten, behaupten, versprechen u.v.a.m. bezeichnet werden. Zu den atelischen Kommunikationsverben gehören u.a. reden und lamentieren. Sprechaktverben sind telische Kommunikationsverben, insofern sie einen Sprechakt bezeichnen.
2. Zur semantischen Valenz eines Sprechaktverbs gehören typischerweise:
- ein Agens, hier der Sprecher,
- ein Adressat,
- ein Thema, d.i. das, was vom Sprecher an den Adressaten übergeht.
In B1 ist Erna Agens, Erwin Adressat und “ob er noch bei Trost sei” Thema.
B1. | Erna fragte Erwin, ob er noch bei Trost sei. |
Die obliquen Dependenten sind bei vielen Sprechaktverben optional, z.B. in B2.
B2. | a. | Laß uns Erwin fragen. |
b. | Erna fragte, ob Erwin noch bei Trost sei. |
Andere Sprechaktverben sehen überhaupt nur entweder den Adressaten oder das Thema vor. Bei sagen ist nur das Thema, bei widersprechen ist nur der Adressat in der Valenz vorgesehen.
Auf der Ebene der semantischen Klassen von Verben stehen unmittelbar neben den Kommunikationsverben die Kognitionsverben bzw. Verben der mentalen Aktivität (traditionell ‘Verba cogitandi et iudicandi’ “Verben des Denkens und Urteilens” genannt). Das sind solche Verben wie denken, meinen, glauben, urteilen, vermuten, wissen, bezweifeln, beschließen. Sie drücken mentale Aktivität, genauer propositionale Einstellungen des Subjekts zum Thema aus. Sie haben normalerweise keinen Adressaten unter ihren Partizipanten, eben weil per definitionem keine Inhalte oder Nachrichten zwischen Personen übermittelt werden. Allerdings kann man Denkoperationen manifestieren. Wenn mehrere Personen gemeinsam etwas denken, ist das sogar notwendige Voraussetzung. Einer alleine kann etwas beschließen, ohne darüber zu reden; aber wenn ein Gremium etwas beschließt, ist das ein Sprechakt. Ein Test der Verwendung eines Kognitionsverbs als Kommunikationsverb ist die Kombination mit ausdrücklich, wie etwa in ich bezweifle ausdrücklich, daß das mit rechten Dingen zugegangen ist.
Performativität
Das Konstitutive für einen Sprechakt ist seine illokutive Kraft. Das zentrale Bedeutungsmerkmal eines Sprechaktverbs ist folglich die zugehörige illokutive Kraft. Alle Sprechaktverben können dazu verwendet werden, einen Sprechakt (genauer: dessen Kern) zu bezeichnen. Eine Teilmenge kann außerdem dazu verwendet werden, den Sprechakt zu vollziehen (oder auszuführen).
B3. | a. | Erna warnt dich davor, zum Kanzler zu gehen. |
b. | Ich warne dich davor, zum Kanzler zu gehen. |
Der Satz B3.a bezeichnet einen Sprechakt. Er kann als Behauptung gebraucht werden, z.B. als Antwort auf die Frage “was redet Erna da?” B3.b kann ebenso gebraucht werden, z.B. als Antwort auf die Frage “was redest du da?” Daneben hat B3.b aber noch eine Verwendung als Warnung.
Ein Sprechakt kann die illokutive Kraft einer Warnung haben, ohne daß ein Verb wie warnen vorkommt. Dies wird durch B4 illustriert.
B4. | Geh ja nicht zum Kanzler! |
B4 kann u.U. allerdings auch ein wohlmeinender Rat sein. Die illokutive Kraft einer solchen Äußerung ist also teilweise Interpretationssache. B3.b dagegen ist eine explizite Warnung. B3.a hinwiederum ist unter keinen Umständen eine Warnung. Ein Sprechakt kann folglich explizit ausgeführt werden dadurch, daß man das ihn bezeichnende Verb in einer geeigneten syntaktischen Konstruktion verwendet. In B3.b dient es als Hauptprädikat in einem selbständigen Aussagesatz, dessen Subjekt die erste Person ist, und steht im Präsens Indikativ Aktiv. Dieses ist die kanonische performative Konstruktion; auf andere Möglichkeiten kommen wir unten.
Einige Sprechaktverben verhalten sich so wie warnen darin, daß sie auf die beschriebene Weise verwendet werden können, um den bezeichneten Sprechakt auszuführen. Dazu gehören u.a. versprechen, taufen und viele andere. Andere Sprechaktverben können nicht so verwendet werden. Dazu gehören u.a. drohen, trösten u.v.a. Die Sätze in B5 sind merkwürdig, weil sie versuchen, diese Sprechakte doch mithilfe dieser Verben durchzuführen.
B5. | a. | Ich drohe dir hiermit. |
b. | Ich tröste dich hiermit. |
Ein performatives Verb1 ist ein Sprechaktverb, das dazu verwendet werden kann, den von ihm bezeichneten Sprechakt auszuführen. Versprechen und taufen sind folglich performative Verben, drohen und trösten dagegen nicht. Um festzustellen, ob ein Verb performativ ist, bildet man die kanonische performative Konstruktion, man setzt es also in folgenden Testrahmen ein:
Ich __ (dich/dir) hiermit, (daß/ob p).
Der Ausdruck des Adressaten und des Themas hängen von dem jeweiligen Verb ab. Für p
ist ggf. ein abhängiger Satz einzusetzen.
- Wenn der Satz mit dem zu testenden Verb dazu verwendet werden kann, den dadurch bezeichneten Sprechakt auszuführen, ist das Verb performativ.
- Kann der Satz dagegen nicht so verwendet werden, oder ist er überhaupt abweichend, so ist das Verb nicht performativ.
Der Zusatz hiermit ist wichtig, um die Validität des Tests zu garantieren. Es sei z.B. die Frage, ob das Verb loben performativ ist. Zweifelsfrei ist der Satz ich lobe dich nicht nur unauffällig, sondern stets mit einem Lob des Adressaten verbunden. Aber B6 ist merkwürdig.
B6. | Ich lobe dich hiermit. |
Dies zeigt, daß der Satz ich lobe dich vermutlich eher als Kommentar zu einem davon unabhängigen Sprechakt verwendet wird als dazu, den Sprechakt selbst auszuführen. Der Test geht für loben also negativ aus. In demselben Sinne kann man B3.b – das, wie gesagt, zweideutig ist – durch den Zusatz von hiermit als Warnung disambiguieren.
Ein performatives Verb ist also nicht in allen seinen Verwendungen performativ. Vielmehr kann ein performatives Verb verwendet werden, um den bezeichneten Sprechakt auszuführen, wie in B3.b; oder es kann wie jedes andere Sprechaktverb dazu verwendet werden, den betreffenden Sprechakt zu bezeichnen, wie in B3.a. Der Unterschied zu einem nicht-performativen Sprechaktverb besteht darin, daß dieses nur zu letzterem Zweck verwendet werden kann.
Performative Konstruktionen
Daß ein performatives Verb in dem genannten Testrahmen performativ verwendet wird, besagt nicht, daß es nur in dieser Konstruktion performativ wirken kann. B7.a, b und c können jedenfalls dazu verwendet werden, einen Rat bzw. ein Verbot zu erteilen bzw. eine Bitte anzubringen, obwohl sie von der kanonischen Konstruktion abweichen.
B7. | a. | Ich würde dir raten, zum Kanzler zu gehen. |
b. | Es ist verboten, den Rasen zu betreten. | |
c. | Die Passagiere werden gebeten, angeschnallt zu bleiben. |
Welche Verben in welchen Konstruktionen performativ wirken können, ist eine empirische Frage. So kann B8.a allenfalls als Warnung verwendet werden; aber B8.b funktioniert in keinem Falle als Versprechen.
B8. | a. | Ich würde dich warnen, zum Kanzler zu gehen. |
b. | Ich würde dir versprechen, zum Kanzler zu gehen. |
Wir kommen abschließend noch einmal auf die Kognitionsverben zurück. Selbst wenn sie einen Adressaten in ihrer Valenz haben – so etwa glauben –, unterscheiden sie sich jedenfalls von den Sprechaktverben und den Kommunikationsverben überhaupt darin, daß sie nicht notwendig eine kommunikative Handlung involvieren. Bei glauben und meinen ist das völlig klar; aber bereits bezweifeln ist ein Grenzfall.
B9. | a. | Erna bezweifelte im stillen, daß Erwin noch bei Troste sei. |
b. | Erna bezweifelte ausdrücklich, daß Erwin noch bei Troste sei. | |
c. | Ich bezweifle hiermit, daß du noch bei Troste bist. |
B9.a illustriert die Verwendung von bezweifeln als Kognitionsverb. Aber auch B9.b ist unauffällig und zeigt somit, daß bezweifeln auch einen Sprechakt bezeichnen kann. Mehr noch, auch B9.c ist möglich und würde nach dem oben Gesagten darauf hinweisen, daß bezweifeln ein performatives Verb ist. Ähnliches gilt für beschließen. Diese Fälle lassen sich wie folgt beschreiben: Ein Verb, das primär einen mentalen Akt bezeichnet, bezeichnet sekundär auch einen kommunikativen Akt, der den mentalen Akt manifest macht. Und in dieser zweiten Bedeutung kann das Verb performativ sein. Die illokutive Kraft einer entsprechenden Äußerung besteht dann darin, daß der Sprecher sich öffentlich auf die betreffende mentale Einstellung und deren Konsequenzen festlegt. Mehrere der in Austin 1962 ‘conductive’ genannten Verben fallen in diese Kategorie.
Klassifikation von Verben in Sprechaktverben und Kognitionsverben | |
Klassifikation von Sprechaktverben in performative und nicht-performative | |
Performative Formeln |
1 von engl. perform “ausführen”