In der Linguistik ist oft die Rede von sprachlichen Ebenen. Dies ist ein Sammelbegriff für eine ganze Reihe verschiedener Ebenensysteme. Nach der Relation, welche jeweils die Ebenenabstufung begründet, sind mindestens drei Arten von Ebenen zu unterscheiden:
- Komplexitätsebenen: Eine Einheit einer gegebenen Ebene setzt sich aus Einheiten der nächstniedrigeren Ebene zusammen.
- Abstraktionsebenen: Eine Einheit einer gegebenen Ebene bildet die Invariante gegenüber einer Menge von Einheiten der nächstniedrigeren Ebene (die ihre Varianten sind).
- Semiotische Ebenen: In einem semiotischen System gibt es Zeichen und Bezeichnetes, und diese werden verschiedenen Ebenen zugerechnet.
Komplexitätsebenen und Abstraktionsebenen sind in allgemeiner Weise konzipiert und spielen daher in vielen Wissenschaften eine Rolle. Semiotische Ebenen dagegen kommen nur in semiotischen Wissenschaften, insbesondere der Linguistik, vor. Ferner bilden, wie unten näher erläutert wird, die ersteren beiden Arten von Ebenen Hierarchien.
Komplexitätsebenen
Jede der beiden Ebenen der zweifachen Gliederung (s.u.) weist eine Hierarchie von Komplexitätsebenen auf.1 Die Vereinigungsmenge der Ebenen, mit denen man in der Phonologie und der Phonetik rechnet, ist die folgende; die phonologischen sind gelb hinterlegt:
Einheit | Bemerkung |
---|---|
Atemgruppe | phonetische Einheit |
Tongruppe | phonetische Einheit |
phonologisches Wort | |
Silbe | |
Segment | |
Merkmal (inkl. Suprasegmentalia) | eher Eigenschaft als Einheit |
In der Grammatik gibt es mindestens die folgenden Komplexitätsebenen:
Einheit | Beispiel |
---|---|
Satz | Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. |
Klause | wer andern eine Grube gräbt |
Syntagma | andern eine Grube gräbt |
Wort(-form) | gräbt |
Morphem | -t |
Abstraktionsebenen
Menschliche Kognition bringt Ordnung ins Chaos. Phänomene werden als Varianten voneinander konzipiert. Ihr Verhältnis wird auf den Begriff gebracht in Form einer Invariante. Die Invariante ist in bezug auf bestimmte Eigenschaften der Varianten unterspezifiziert und insofern abstrakter. Diesen Abstraktionsprozeß kann man wiederholen, so daß sich eine Hierarchie ergibt.
Abstraktionsebenen gibt es in der Phonologie, nämlich die folgenden:
Morphophonem |
Phonem |
Phon |
Token |
In der Morphologie rechnet man mit den beiden Ebenen des Morphs und des Morphems.
Auch die Ebenen der Sprachtypologie sind Abstraktionsebenen:
|
|
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Semiotische Ebenen
1. Durch die zweifache Gliederung sprachlicher Einheiten ergeben sich die folgenden zwei Ebenen:
Nr. | Art der Einheiten | Beispiele |
---|---|---|
1 | signifikativ | Morpheme, Wörter, Sätze ... |
2 | distinktiv | phonologische Merkmale, Phoneme, Silben ... |
Diese beiden Ebenen heißen auch (1) grammatische und (2) phonologische Ebene.
2. Aus dem Begriff des Zeichens (im Sinne der auf de Saussure basierenden Semiotik) folgen zunächst zwei fundamentale semiotische Ebenen, nämlich die Ebenen des Significans und des Significatums:
Demgemäß spricht man von der semantischen und der phonologischen Ebene.
Diesen beiden semiotisch basierten Ebenensystemen ist gemeinsam, daß ihre Konzepte zwar übereinzelsprachlich sind, die gemeinten Phänomene aber nur innerhalb einer Einzelsprache existieren und dort auf jeweils eigene Weise strukturiert sind. Die ebenenbildenden Kriterien allerdings sind in den beiden Systemen verschieden:
- Die Ebenen der zweifachen Gliederung sind Ebenen zweier Arten von Einheiten der Sprache, nämlich zeichenhafter und (selbst) nicht zeichenhafter Einheiten.
- Die Ebenen des Significans und des Significatums sind die beiden fundamentalen Aspekte jeglichen Zeichens, eben der wahrnehmbare und der verstandene Aspekt.
Die beiden Systemen hängen daher wie folgt miteinander zusammen:
- Die Einheiten der ersten Gliederungsebene sind eben diejenigen, welche ihrerseits die beiden Aspekte des sprachlichen Zeichens aufweisen.
- Die zweite Gliederungsebene betrifft die Gliederung des einen Aspekts von Sprachzeichen, des Significans.
Die Ebene des Significans des ersten Systems entspricht also der Ebene der distinktiven Einheiten des zweiten Systems; es handelt sich in jedem Falle um die phonologische Ebene. Die jeweils “höheren” Ebenen in den beiden Systemen sind jedoch verschieden konzipiert. Auf der Ebene des Significatums befinden sich Bedeutungen, also denkbare, aber jedenfalls keine wahrnehmbaren Gegenstände, während sich auf der Ebene der ersten Gliederung bedeutungstragende Einheiten, also jedenfalls wahrnehmbare Gegenstände befinden. Dementsprechend läßt sich der Ebene der ersten Gliederung eine grammatische Struktur zuschreiben, die der semantischen Ebene höchstens in dem Maße zukäme, wie die Bedeutung eines komplexen Zeichens kompositionell und ikonisch ist.
Die Ebene der ersten Gliederung ist daher diejenige, auf welcher Significata mit Significantia gepaart werden. In dieser Hinsicht lassen sich die beiden semiotisch basierten Ebenensysteme wie folgt zu einem System kombinieren:
idiosynkratisch ganzheitlich |
← |
|
→ | regelmäßig analytisch |
Die mittlere (in dem Schema weiße) Ebene wäre dann die der ersten Gliederung, entstanden gleichsam durch Entfaltung der waagerechten Trennlinie im saussureschen Modell des bilateralen Zeichens.
Für die Abfolge der Komplexitäts- und der Abstraktionsebenen gibt es je ein durchgängiges Kriterium, so daß sich die oben genannten Hierarchien ergeben. Das gibt es für die semiotischen Ebenen nicht, und folglich bilden sie in der Sprache keine Hierarchie. Dennoch ist auch mit Bezug auf diese oft von höheren und niedrigen Ebenen der Sprache die Rede.
Gelegentlich setzt man über den drei Ebenen des Sprachsystems noch die pragmatische als eine weitere Ebene an. Hier ist die Rede von Ebenen dann vollends metaphorisch.
1 A. Martinet (1949) hatte auf jeder der beiden semiotischen Gliederungsebenen (s.u.) nur die jeweils minimalen Einheiten, also die Morph(em)e und die Phon(em)e im Sinn. Aber die komplexeren Einheiten lassen sich ebenfalls den beiden Ebenen zuordnen nach dem Kriterium, ob sie signifikativ oder bloß distinktiv sind.