Sprache ist das unbeschränkte Schaffen interpersonal verfügbarer Bedeutungen. Daraus resultiert als wichtige Eigenschaft der menschlichen Sprache die Effabilität, also die Möglichkeit, alles zu sagen. Hieraus wiederum folgt die Situationsentbundenheit menschlicher Sprache. Tiere kommunizieren, soweit bekannt, ausschließlich über Dinge, die in der “Sprech”situation oder mindestens auf diese bezogen sind; für menschliche Sprache gilt eine solche Einschränkung nicht. Insbesondere kann man auch lügen; und für diese Fähigkeit gibt es sogar einen Fachterminus, Prävarikation. Nach zoosemiotischen Erkenntnissen (Byrne 1995) haben freilich auch Tiere diese Fähigkeit. Z.B. locken Hähne Hennen mit dem Futterruf an, auch wenn sie gar nichts gefunden haben, und zwar zwecks Kopulation. Schimpansen markieren, wenn sie einen Kampf nicht aufnehmen wollen, Verletzungen. Dies sind freilich “situationsgebundene” Lügen. Unabhängig von der Frage, zu welchem Grade die menschliche Sprache in tierischen Kommunikationssystemen schon vorbereitet ist, gilt für erstere jedenfalls, daß zwischen Sprache und Welt das Denken steht.

Der Anforderung der Effabilität genügt die menschliche Sprache durch die zweifache Gliederung. Daß diese zu diesem Zweck nötig ist, sieht man, wenn man die Funktionsweise von Zeichensystemen untersucht, denen sie fehlt.

Das Fazit dieser kurzen Betrachtung ist jedenfalls, daß solche Zeichensysteme keine Effabilität haben. Ob es neben der zweifachen Gliederung andere Möglichkeiten gibt, dem Erfordernis zu genügen, bleibt hier dahingestellt.

Als nächstes ist kurz auf die für menschliche Sprache geeigneten Medien einzugehen. Die relevanten physikalischen und physiologischen Grundlagen dieser Medien sind

Die Kriterien der Eignung dieser Komponenten beziehen sich auf die Verarbeitung von Einheiten der zweiten Gliederung. Es sind i.w. die folgenden:

Man sieht auch ohne eingehendere Argumentation, daß der Geruchs- und der Geschmackssinn des Menschen nach diesen Kriterien ausscheiden. Die anderen drei Sinne werden tatsächlich zur Übermittlung von Sprache benutzt, und zwar in der Hierarchie 'Gehör - Gesicht - Tastsinn'.

Für auditive Signale ist der Übertragungskanal die Luft. Sie überträgt den Schall sogar noch in Bereichen und in Granularitätsabstufungen, die für den Menschen weder erzeugbar noch wahrnehmbar sind, und sie überträgt ihn ohne nennenswerten Verzug; d.h. sie ist für den Zweck mehr als ausreichend. Die Artikulationsorgane des Menschen reichen aus, um Nachrichten der notwendigen Komplexität mit angemessener Differenzierung zu erzeugen und in angemessener Geschwindigkeit auszusenden. Das menschliche Gehör hinwiederum ist in den relevanten Dimensionen fein genug, um die Unterschiede und die Komplexität zu apperzipieren, und der Gang bis zum Verstehen ist, mindestens solange die Aufmerksamkeit wach ist, auch schnell genug, um alles Gesandte mitzubekommen. Das Medium hat auch eine Reihe von Nachteilen:

Diese wiegen aber offenbar nicht schwer genug, um diesem Medium den ersten Platz grundsätzlich streitig zu machen, wenn sie auch im Einzelfall dazu führen, daß man sich des nächstbesten Mediums bedient.

Das ist das visuelle Medium. Der Übertragungskanal ist das Licht, und auch dieses hat größere Kapazität in der Differenzierung, Komplexität und Übertragungsgeschwindigkeit, als Menschen brauchen. Menschen können freilich keine optische Strahlung erzeugen, sondern müssen zwecks Nachrichtenübertragung Gegenstände herstellen, die Licht in der erforderlichen Weise reflektieren. Das hat den Nachteil, daß die Erzeugung von Nachrichten relativ lange dauert – und dies ist in der Tat der Hauptnachteil der Schrift – und den Vorteil, daß die Nachrichten lange erhalten bleiben und über große Entfernungen übermittelt werden können. Diese Weise der Nachrichtenerzeugung ist übrigens auch den Fähigkeiten der zugeordneten Wahrnehmungsorgane angepaßt: wir können statische Objekte hoher Komplexität und Differenziertheit entziffern, können allerdings weniger gut rasche Veränderungen sehen. Das visuelle Medium hat im übrigen keinen der Nachteile, die das auditive hat, dafür jedoch den Nachteil, daß die Wahrnehmungsorgane zwangsweise gerichtet sind (wir sehen jemanden nur dann winken, wenn wir hingucken). Es besetzt offensichtlich wegen der umständlichen Nachrichtenerzeugung den zweiten Platz, wird aber oft wegen seiner Vorteile – lange Haltbarkeit und Überbrückung von Entfernungen – bevorzugt.

Das taktile Medium spielt in der Kommunikation von Gesunden, abgesehen von Handküssen, Schulterklopfen u.ä., eine geringe Rolle. Für Blinde dagegen sind Brailleschrift und für Taubblinde das Tastalphabet nach dem unzugänglichen auditiven bzw. visuellen Medium die nächstbeste Lösung. Das Medium ist in jeder Hinsicht schlechter geeignet, was hier nicht im einzelnen ausgeführt wird. Nichtsdestoweniger ist seine Leistung für die Übermittlung menschlicher Sprache noch hinreichend.

Diese Überlegungen begründen die genannte Hierarchie der Medien für die Zwecke menschlicher Sprache.


Byrne, Richard W. 1995, The thinking ape. Evolutionary origins of intelligence. Oxford etc.: Oxford University Press (reprint 2001).